Jenseits des Großburgwedels - 8

Liebe Empörte, Entrüstete, Lehmschmeißende! Es gibt doch so vie­le schöne Orte im Internet, wo man sich austauschen kann. Warum nennt ihr es „Kundenrezension“, wenn ihr nur einfach mal über Frau Wulff ablästern wollt? Wo nehmt ihr den Mut her, euch öffent­lich zu einem Buch zu äußern, über das ihr frei von Scham hinaus­posaunt: „Ich habe dieses Buch weder gekauft noch gelesen.“?

Liebe Amazon-Moderatoren! Habt ihr die Richtlinien eures Hauses nicht gelesen? Wisst ihr nicht, dass, was man nicht kennt, auch nicht besprechen kann, darf, sollte? Wollt oder könnt ihr nicht jene in die Grenzen weisen, die Amok laufen und sich selbtgefällig dar­in ergehen, das, was sie beschimpfen und ihr verkaufen wollt, gar nicht zu kennen? Oder zielt das operative Geschäft von Amazon dahin, zum Marketplace für alle möglichen Meinungen zu werden?


So, das musste mal raus. Und nun weiter im Text: Kapitel 9 „Die Beziehung“:

Aus der Sicht von Frau Wulff bedeutete ihre Tätigkeit als Frau des Bundespräsidenten, „ein großes Stück Eigenständigkeit und Selbst­bestimmung“ zu verlieren. Da frage ich mich natürlich, ob man sich Rossmann und Continental als eine Art feministischen Pony­hof vorstellen darf, wo alle Angestellten supi eigenständig und selbstbestimmt arbeiten und es kein „Ding der Unmöglichkeit“ ist, morgens einfach mal „20 Minuten länger im Bett“ zu bleiben? Langschläferei ist für eine Bundespräsidentengattin nicht drin, denn entweder steht „schon der Fahrer vor der Tür“ oder es haben „sich schon die Gäste im Schloss Bellevue versammelt“.

Diese Probleme sowie der Druck, Gefühle und eigene Bedürfnisse hintanstellen und mit ihrem Mann „jeden Tag erneut als funktionie­rende Einheit auftreten zu müssen“, führten dazu, dass Wolken über der Beziehung der Eheleute Wulff aufzogen. Wolken, von denen Herr Wulff jedoch nichts mitzubekommen schien, da „er total mit dem Amt beschäftigt war. (…) er war schlichtweg physisch wie psychisch nicht in der Lage, sich über allem auch noch mit mir auseinanderzusetzen.“ Frau Wulff hielt sich zunächst mit ihren „trüben Gedanken“ zurück, bekam Magenschmerzen und Appetitlosigkeit, versuchte dann nach gut einem Jahr aber, ihrem Mann „mit Andeutungen und in Nebensätzen (ihr, DB) Unbehagen mit der ganzen Situation mitzuteilen.“

Wer nun hofft zu erfahren, mit welchen Lösungsstrategien die Wulffs gegen ihre Schwierigkeiten angingen, wird enttäuscht. Statt­dessen erfahren wir über mehr als zwei Seiten lang, was Frau Wulff sich seinerzeit alles vorgestellt hat, falls ihr Mann nicht nur fünf, sondern - zehn Jahre („davon musste ich ja zunächst auch ausge­hen“) im Amt bliebe. Zudem gibt es noch ein paar Anmerkungen über die Schwierigkeiten, immer von Sicherheitsbeamten begleitet zu werden, und dann ist das „Beziehung“skapitel auch schon zuen­de.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass der frühe Rücktritt von Herrn Wulff paartherapeutisch ein Erfolg war in Hinsicht auf die durch „das Amt“ beschädigte Beziehung der Eheleute Wulff. Vielleicht sah Frau Wulff deshalb so strahlend aus bei der Rücktrittserklärung und beim Zapfenstreich??

Übrigens bin ich mir langsam immer sicherer, dass wir es bei „Jen­seits des Protokolls“ nicht mit Confessiones, sondern mit einer Apologie zu tun haben: Es geht nicht um Bekenntnisse, sondern um Rechtfertigung.



Nun noch schnell etwas zum „Charity-Engagement“ (Kapitel 10):

Mir gefällt, wie Frau Wulff sich dem Wohltätigkeits-Aufgabenbe­reich der Bundespräsidentengattin nähert. Ihre Entscheidung für das Thema „Kinder und Jugendliche“ schien von Anfang an festzustehen, denn: „Ich habe selbst zwei kleine Kinder, war alleinerziehende Mutter gewesen und daher wusste ich vor allem um die Alltagssorgen, -themen und -belange von Müttern. Daraus folgt (neben der obligaten Schirmherrschaft über das Müttergenesungswerk) ihr Engagement für die Stiftung „Eine Chance für Kinder“, die den Einsatz von Familienhebammen zur Verhinderung von Kindesvernachlässigung organisiert, und für die „Deutsche Kinder- und Jugendstiftung“, deren Projekt „Welt-Räume“ zum Ziel hat, durch Lernwerkstätten in Kitas, Schulen und Freizeiteinrichtungen, die sich in sozialen Brennpunkten befinden, benachteiligte Kinder zu fördern.

Da mich Frau Wulffs Engagement überzeugt und ich ihm Respekt zolle, fällt es mir ein bisschen schwer, hier nun noch die meiner Meinung nach herrlichsten zwei Sätze des „Charity“-Kapitels zu zi­tieren. Aber ich glaube, es muss sein. Natürlich geht es – wie so oft – um Motivation und Authentizität: „Ich meine, man stelle sich mich nur einmal als Sprecherin zur Rettung des deutschen Dackels vor. Zwar ein ganz bezauberndes Tier, aber wo ist da die unmittel­bare Verbindung zu meinem Leben?“

Ein Fall für Hermeneuten oder Lektoren.

 

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