"Brockmann lehrt, wie man" ... mehr "verzehrt"

Wer Ohren hat, soll hören, wer Geld hat, soll´s verzehren.“

Also sprach der Dichterfürst und hinterließ uns mit dem Spruch wieder einmal mehr als nur einen donnernden Stammtisch-Zwei­zeiler. Eine gut geeignete Vorlage, um über Zweckbestimm­ung, Großzügigkeit, Ignoranz und Geiz erklecklich zu räsonnieren. Das wollen wir aber nicht tun.

Wir wol­len den Spruch zum Ausgangspunkt nehmen, um das schö­ne Wort „verzehren“ davor zu bewahren, alsbald auch in das „Lexi­kon der bedrohten Wörter“ abzuwandern, wo sich inzwischen schon viele schöne, aber vergessene Wörter tummeln, man denke nur an „wohlfeil“, „dünken“, „Fisimatenten“, „Spitzbube“, „Wähl­scheibe“ oder „Kreiswehrersatzamt“.

Wie entreißt man etwas der Gefahr des Vergessens? Ganz einfach, indem man es präsent hält, also immer viel erwähnt:


„Möchten die Herrschaften auch etwas verzehren?“

„Ja, Herr Ober, sehr gerne würden wir auch etwas verzehren. Schauen Sie, wir haben sogar Verzehrbons.“

„Das ist sehr praktisch, danke. Erlauben Sie, dass ich die Kerze schon entzünde?“

„Gewiss und gern, sie gibt uns Licht, indem sie sich verzehrt.“

„Ja, so ist es." (Ober ab)

„Geliebte, wie hab ich mich nach dir verzehrt, den ganzen Tag lang im Büro.“

„Mein Herz, mir ging es ebenso.“

„Wie schön du bist.“

„Das hör ich gern. Doch wisse dies und nun sei stark: Schönheit ist ein blankes Schwert, das der Rost gar bald verzehrt.“

„Ach so.“

„Die Herrschaften, bitte schön, zweimal Ochsenbäckchen. Guten Appetit!“

„Danke, Herr Ober. Und wegen des Nachtischs überlegen wir noch.“

„Überlegen Sie wohl. Wie sagt doch der Volksmund klar und wahr?“

(Alle) „Am Strick müssen sterben, die mehr verzehren als erwer­ben!“


Dies Beispiel einer ganz normalen Alltagskommunikationssituation zeigt, wie einfach es ist, ein gefährdetes Wort vor dem Verlorenge­hen zu bewahren. Man muss es nur wollen.

 

Zur Worterhaltungsstrategie gehört des weiteren, ein wenig über die Herkunft und Geschichte des Wortes zu erzählen. Doch wer harrt hier aus, wenn ich nun den langen „Verzehren“-Artikel aus dem „Deutsche(n) Wörterbuch“ der Brüder Grimm referierte? Wenn ich erzählte, dass das Wort im Althochdeutschen für „zerstö­ren“, „zerteilen“, „hinwegraffen“ stand und erst im Mittelhochdeut­schen, sagen wir, etwa ab dem 12. Jh., jene zweite Bedeutungsebe­ne erhielt, die sich sehr schnell durchsetzte und „verzehren“ mit ei­nem zweckvollen „allmählich verbrauchen/aufbrauchen“, „verspei­sen“, „ausgeben“, verbindet, späterhin auch mit einem weniger zweckdienlichen „Aufbrauchen“, wie beim „Vertilgen“, „Verpras­sen“ und „Verschleißen“? Da hörte mir doch wieder keiner mehr zu.

 

Bleibt, daran zu erinnern, dass „verzehren“ in kulinarischer Hin­sicht eher in Gestalt gehobener Sprache gebräuchlich blieb, um auszusagen, dass man etwas in Ruhe oder gar feierlich verspeist. So wie z.B. die arme Frau Bolte, die sich angesichts der schlimmen Ma­x-und-Moritz-Tat an ihren Hühnern dachte, dass es wohl das beste wäre, diese

„die hienieden

schon so frühe abgeschieden,
ganz im stillen und in ehren

gut gebraten zu verzehren.“

Einen Doppel-Whopper verzehrt man eher nicht. Das hindert mich aber nicht, an dieser Stelle einmal dazu aufzurufen. Jetzt einmal alle zusammen: „Wir verzehren einen Doppel-Whopper!“ Geht doch.


Zu guter Letzt noch eine Anmerkung zum „Sich-Verzehren“. Das ist mir das Liebste. Dieses Unbedingte, Rumpelstilzchenhafte, die­ses Mit-Haut-und-Haar, Romeo-und-Juliahafte, dieses sehnsüchtige Hingebungsvolle, das ich, glaube ich, erstmals in den Märchen der Brüder Grimm wahrgenommen habe. Möglicherweise resultiert das Interesse an meinem hier Lektion gewordenen Plädoyer für den Er­halt des „Verzehren“ einzig aus dieser eindrücklichen Wahrneh­mung.

Aber das könnte auch eine verzerrte Sichtweise sein.

 

 

 

 

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