"Brockmann lehrt, wie man" ... sich erleichtert

Jahresanfang ist die Hochzeit der guten Vorsätze. Neubeginn auf al­len Ebenen. Der alte Adam soll abgestreift werden, ein neuer Mensch entstehen, wenn möglich gleich ein ganz ein neuer.

 Weniger Pfunde, weniger Zeitungsstapel, weniger Alkohol, weniger Sorgen und Ärger, weniger hauseigene Altkleider, weniger übervol­le Schubladen, weniger Dach- oder Kellergerümpel, usw. usf. We­niger ist – wie so oft – mehr, in diesem Fall: mehr Lebensqualität.


Professionelle Aufräumexperte wissen: „Wegwerfen befreit!“ Birgit Medele, eine Vertreterin ihres Standes, der sich modern „Organi­zer“ nennt, verheißt: „Mit Aufräumen schafft man sich eine Star­trampe, um loszufliegen.“ Wer wollte das nicht? „Up, up and away in my beautiful balloon.“ Ballast abwerfen und sich leichter fühlen. „Dann hebt er ab, und völ-lig los-ge-he-löst von der Erde schwebt das Rau-hau-hem-schiff, völ-lig schwe-re-los!“


Dass Glück und Freiheit sich am Grad der Aufgeräumtheit einer Wohnung bemessen, wissen wir durch die „Simplify-your-life“-Be­wegung, aus der das Aufräumexpertentum als eigener Berufsstand hervorgegangen ist. Der Gründer der Bewegung, Werner Küsten­macher, schreibt im Grußwort zum 10.Geburtstag der hauseigenen Monatshefte, „dass das Aufräumen und Entrümpeln der alltägli­chen Dinge oft ganz verblüffende Auswirkungen auf alle anderen Le­bensbereiche hat: Sie sind zufriedener mit ihrer Zeitplanung, Sie fühlen sich körperlich besser, Ihre Partnerschaft macht Fortschritte, und sogar bei Ihren Finanzen sehen Sie klarer.“


Also ab in den Keller und raus mit den Altlasten von Annodunne­mal: So geht der lazy sunday afternoon schön rum, man holt sich einen gesunden Muskelkater, der Ehepartner freut sich, weil er un­terdessen unge­stört auf dem Sofa Bubbu machen kann und der Kontostand steigt, sofern man vom Kellergerümpel noch etwas bei Ebay versil­bern kann.


Doch Stop! Organi­zer empfehlen: Erst fangwa janz kleen an! Wer gleich mit einem Großprojekt starten will, wird nämlich nicht er­leichtert, sondern eher noch beschwert. Die Riesenaufgabe „Kelle­rentrümpelung“ lastet so zentnerschwer auf einem, dass man schlus­sendlich lieber zum Partner aufs Sofa steigt, als mit aufge­krempelten Ärmeln in den Keller hinab.


Besser ist es, erst einmal mit einer kleinen, machbaren Maßnahme zu beginnen, z.B. der Entsorgung eines alten Zeitungsstapels. Die Statistik weiß, dass die darin be­findlichen Leseschätze eh nicht mehr geho­ben werden. Und die Simplifyisten wissen noch mehr, nämlich dass man für die Lektüre einer 1cm dicken Zeitschrift 4 Stunden benöti­ge, durch das Wegwerfen eines 50-cm-Zeitschriften-Stapels also einen vollen Monat Zeit gewinne!!!


Seitdem so viele Leute erkannt haben, dass der Abschied von Din­gen glücklich macht, sieht man überall immer mehr Bilder von sor­genfrei in die Welt lachenden schlanken Menschen in modischen Designerklamotten, die sich in riesigen, kaum möblierten Wohnun­gen aufhalten, wo nirgends ein kleines Indiz verrät, wer hier wohnt. Nötigt der Job diese Menschen alle paar Jahre zu einem Wohnort­wechsel, können sie unbeschwert mit leichtem Gepäck umziehen. Altkleider gibt es hier nicht (das erleichtert die Designerklamotten­hersteller), Messieszenarien sind nicht zu befürchten (das erleich­tert die Hauseigentümer), Übergewicht bekommt keine Chance (das erleichtert die Fitnesstrainer) und wer in Gewissenskonflikt gerät, ob er von den Erbstücken der Großeltern vielleich doch noch etwas aufbewahren soll, weiß, an wen er sich vertrauensvoll wen­den kann (das erleichtert die professionellen Aufräumexperten).


Derweil sitzen die ganzen Heimeligkeitsfanatiker in ihren zusam­mengeklöppelten Puppenstuben, umgeben von Erinnerungskram aus Überraschungseiern, getrockneten Blumensträußen und selbstgebastelten Adventskalendern. Auf den Fensterbänken türmen sich zugestaubte Väschen, Fläschchen und Bücher, die Küche quillt über von Kochgeschirr, Gewürzdosen und gesammelten Kaffeebechern. Die Puppenstubenbewohner behaupten, sie seien erleichtert, weil sie nicht die Angst kennten, etwas nie wieder zu bekommen, auch fürchteten sie sich nicht vor Erinnerungsverlust, schließlich stehe bei ihnen so viel herum, das sie ermuntere, sich Vergangenes ins Gedächtnis zu rufen.

(Der Simplify-your-life-Experte würde raten, Fotos von dem gan­zen Kram zu machen.)

 


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