"Brockmann lehrt, wie man" ... Idylle feiert

„Lazy sunday afternoon /I've got no mind to worry / close my eyes and drift away“, sangen die Small Faces 1968.

Wer wie ich in jener Zeit Kind und damit beschäftigt war, seine Sonntagnachmittage angenehm zu verbringen, konnte auf verlässli­che Partner setzen: Entweder es ging hinaus in die Natur (Schwim­men, Schlittenfahren, Schpazieren) oder, wenn das Wetter und die Erziehungsberechtigten das erlaubten, man ging zum Fernseher und schaltete eines der zwei Programme ein. Dann gab es Flipper und Fury, die Augsburger Puppenkiste, Lassie, Bonanza oder einen lus­tigen Spielfilm mit Heinz Erhard, Theo Lingen oder Grete Weiser. Immer. (Mit geschlossenen Augen, so wie die Small Faces das be­singen, brachte das natürlich nicht viel, wir konnten aber auch beim Zuschauen ganz gut awaydriften.) Die Welt war schön und heiter und man selbst die Muggeligkeit in Person, eingerollt auf der Wohnzimmercouch, versorgt mit Kuchen und Ka­kao.

Will man heute dieses Sunday-afternoon-Gefühl mal wiederhaben, ist die Enttäuschung groß: Das Zigfa­che an Sendern, Farbqualität und Bildschirmgröße ist verfügbar, aber nichts in Sachen Mugge­ligkeit im Programmangebot. Eine deutsch-österreichische Rosa­munde-Pilcher-Verfilmung in der ge­fühlt vier­hundertsten Wieder­holung ist kein Angebot. Wer den­noch partout nicht Schlitten fah­ren, schwimmen oder schpazieren gehen will und ebenso verzwei­felt wie kompromissbereit die Knöpfe der Fernbe­dienung drückt, kann im NDR zur besten Kinderfernseh­stunde eine angenehme Überraschung erleben: Alle zwei Wo­chen gibt es hier für andert­halb Stunden eine Folge von „Mein schönes Land TV“. Ehrlicher­weise muss ich dazusagen, dass es sich auch hier um eine Wieder­holung handelt. Die Sonn­tagsfolge wird eine Woche zuvor abends um 20.15 Uhr erstausgestrahlt – in Konkur­renz zum „Tatort“ (Das Beste am Norden ist unsere verwe­gene Pro­grammplanung, oder was?). Egal. Vor einiger Zeit bin ich also bei einer dieser Sonntagswieder­holungen gelandet und war schnell in den Bann gezogen. Der Lieb­lingsmensch kam während des Beitrags über Bienenhaltung hinzu und war ebenfalls in den Bann gezogen. Dann kam noch der Hund hinzu – der ist immer in den Bann gezogen, wenn sich das Rudel auf dem Sofa fläzt. Letzten Sonntag haben wir ge­meinsam eine ganze Folge angeschaut. Das gab es zu sehen:

 

Als erstes sind wir zu Besuch bei Familie Pape in Granstedt. Das junge Milch­bauerehepaar zeigt, wie man aus alten Kartoffel­kisten eine Blumenbank baut. Frau Pape weiß, was sie will. Herr Pape macht augenzwinkernd ein paar spitze Bemerkungen über die Sam­melleidenschaft und Dekorationswut seiner Gattin. Kein Zweifel, er veranschaulicht dabei nur die Devise „Was sich neckt, das liebt sich“. Als nächstes backt die Oma von Herrn Pape einen gedeckten Apfelkuchen und gesteht nebenher, dass sie ger­n Butterkuchen esse, aber nur den vom Bäcker. Sie könne Butterkuchen nicht, man müsse ja auch nicht alles können. Dann führen zwei mutmaßlich nicht zur Familie gehörende Frauen vor, wie man „den Duft des Sommers einfängt“, nämlich in alten Zigarrenkisten, die man mit geblümten Papierservietten bekleben und dann mit getrockneten und mit Duftöl besprühten Blüten befüllen muss. Schon geht es in den Kuhstall der Papes. 250 schöne Schwarzbunte, von denen es heißt, dass Herr Pape und sein Vater jede von ihnen kennen. Die Lieblingskuh vom Senior hat schon sechsmal gekalbt, gibt 10.000 Liter Milch im Jahr, war noch nie richtig krank und soll ein Gespür für die Stimmung haben, mit der er morgens in den Stall kommt. Schon steht die junge Frau Pape mit ihrem kleinen Sohn vor Him­beerbüschen und pflückt eine Schale voll dicker leuchtender Früch­te. Dann steht sie in der Küche neben Tante Katharina. Die ist „die Rote-Grütze-Expertin der Familie“ und stellt sogleich besagtes Mus her – ohne Sago, das war früher. Weiter geht´s mit der Schwiegermutter von Frau Pape. Sie setzt eine Beinwell-Tinktur an, die fünf Jahre haltbar ist und gegen Prel­lung, Zerrung und Verstauchung „der Gebeine“ hilft, und zwar „wirklich“. Mach ich nach. Wirklich.

 

Wir auf dem Sofa haben es uns inzwischen so richtig gemütlich ge­macht: Windbeutel und Kaffee für die Rudelführer, Dental-Knab­ber-Stick für den Rangniedrigsten. Es wird diskutiert, ob die Kom­mentatorenstimme aus dem Off eher an die aus Zimmermanns „Aktenzeichen XY ungelöst“ oder an die von Landschafts- und Tiersendungen auf ARTE erinnert. Bezüglich der Musik herrscht sofort Einstimmigkeit: eine Klangcollage aus der Klippenmusik von Rosamunde-Pilcher-Fil­men und dem Sound von Maifeiertags­gedenksendungen im ZDF. Plötzlich ruft der Lieblingsmensch: „Zack! Schon wieder eine Basteleinheit!“ Und tatsächlich. Schwie­germutter und -tochter Pape sitzen im Garten und nähen ein Kirsch­kernkissen, schnell mal eben von Hand. Darauf folgt ein Aus­flug an den See. Im Planwagen mit der gesamten Familie sowie Freunden und Gästen des Ferienhofes Pape. Am See gibt es einige Naturer­klärungen. Ich weiß nun, wie Zunderpilze ausse­hen.

 

Anschließend demonstrieren Bewohner aus Swinmark, wie Anno Dazumal das Getreide geerntet wurde. Sie tragen nigelnagelneue Originaltrachten und erklären umfassend, was es mit Dengeln, Korbsensen, Flüsterhüten, Tagwerk, Garben, Stiegen und dem Ur­sprung des Picknicks auf sich hat. Neben mir sagt eine Stimme: „Früher bei meinem Oppa, da sah das fast genau so aus.“ Ich zucke zusammen und denke, mein Gott, sind wir echt schon so alt. Da mi­schen sich Vater und Sohn Pape ins Gespräch. Sie wollen das tradi­tionelle norddeutsche Gericht „Birnen, Bohnen und Speck“ zube­reiten. Im Outdoor-Bereich. Die westernartige Hängetopf-Feuer­stelle flammt und raucht vor sich hin, derweil die beiden Männer erklären, dass das Schnibbeln und Kochen keine für Männer typi­sche Arbeit sei. „Zack! Schon wieder eine Basteleinheit!“ Die Schwiegermutter von Frau Pape handarbeitet mit ihrer eigenen Schwiegermutter einen Tischläufer aus alten Leinentüchern und Häkelbordüren, die letztere meterweise auf Vorrat gehäkelt hat. Die „XY-Ungelöst“-Kommentatorenstimme sagt: „Mutter und Tochter ar­beiten viel zusammen.“

 

Dann schlägt die Stunde der Beekers. Die Gärtnerfamilie besteht aus einem jungen und einem älteren Ehepaar und erklärt regelmä­ßig, was im jeweiligen Monat im Garten zu tun ist: Trulla Beeker sieht man meistens in ihrem Bauerngarten, in dem sie jetzt, im Sep­tember, die Zwiebeln erntet und späterhin Gelbsenf auf die schon abgeernteten Beete sät. Gelbsenf sorgt für eine gute Bodenbede­ckung im Winter. Ihr Mann Axel säubert Nistkästen, was man ihm insbesondere wegen der Vogelmilbe alsbald nachmachen sollte. Die jungen Leute, Silke und Ole Beeker, reparieren ihren Gartenteich.

 

Puh. Schon viel gelernt, gesehen, gelacht. – Wir sind aber noch längst nicht am Ende.

 

Denn jetzt kommt erst mal Familie Eggers aus Ellingen. Sohn Vol­ker, der eine Kochausbildung in einem Sterne-Restaurant in Ham­burg gemacht hat, backt mit Mutter Rita eine Buchweizentorte für das eigene Hofcafé. Und „Zack! Schon wieder eine Basteleinheit!“: Volkers allerliebste Töchterlein basteln mit Oma und Opa kleine Rindenboote, die, bestückt mit einem Teelicht, später in der Däm­merung auf dem Schwimmteich der Familie in See stechen und da­bei schön leuchten sollen. Bis es soweit ist, zeigt uns Ölmüller Werner Baensch aus Boffzen, wie man Sonnenblumenöl herstellt. Kaltgepresstes natürlich. Man braucht 20-30 Blütenköpfe für einen halben Liter Öl und eine volle Stunde, wenn man mit der Hand­mühle presst. Das gute Öl aus Boffzen verwendet bestimmt auch Volker Eggers, der im Anschluss Heidschnuckenbraten mit Kürbis­gemüse kocht, und zwar ebenfalls unter freiem Himmel, wie Vater und Sohn Pape. Allerdings benutzt er einen Smoker. Der sieht aus wie eine Dampflokomotive und kann nahezu alles: kochen, braten, gril­len, backen, räuchern. Toll. Mir persön­lich aber ein wenig zu martialisch. Und „Zack! Schon wieder eine Basteleinheit!“: Volkers allerliebste Töchterlein bedrucken nun unter Anleitung von Oma Rita und Mama Carolin kleine weiße Baumwollschürzen. Das geht mit Stempeln aus echten Birnen und Äpfeln, die man nicht zu dick mit Textilfarbe bestreichen darf.

 

Es folgt eine kleine Kulturgeschichte des Flachs-Handwerks. Wir lernen etwas über Riffeln, Hocken, Flachsbrecher, Hecheln und Spinnen und neben dem rein Technischen auch noch etwas anderes: Früher, sagt die Flachs-Handwerkerin Ursula Dresel, habe man auf den Bauerhöfen abends zusammengesessen, gemeinsam gesponnen und gewebt, sicherlich auch miteinander herumgealbert und ge­macht und getan, daher komme bestimmt auch der Ausdruck, man habe miteinander geflachst. Und „Zack! Schon wieder eine Bastel­einheit!“ Oma Rita Eggers schneidert aus einem Oberhemd, das ihr Mann Jürgen nicht mehr trägt, eine Stuhlhusse. Zum Schluss ge­nießt die Großfamilie den leckeren Heidschnuckenbraten und er­freut sich an den leuchtenden Rindenbooten.

 

Pfff. Das schaffte einen schon. Aber früher war ich auch immer ziemlich erschöpft nach einem sonntäglichen Fernsehnachmittag. Das ist normal. Die ganzen Eindrücke, die auf einen eingewirkt ha­ben, das Eintauchen in eine andere Welt, das viele Awaydriften und immer die Vorsätze, ab jetzt das Leben zu ändern, – all das will ver­arbeitet werden, ist also anstrengend. Aber es ist auch schön. Hach ist das schön!

 

 

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Meikekind (Sonntag, 08 September 2013 15:21)

    Gerade den Eltern am lazy Sunday auf dem Sofa vorgelesen, haben die Folge auch gesehen...Holz ist sich sicher: Das ist nicht die Stimme von Aktenzeichen XY ungelöst...

  • #2

    walk-the-line (Sonntag, 08 September 2013 16:20)

    Ok, dann isses die die von Landschafts- und Tiersendungen auf ARTE. Aber hört noch mal rein, manchmal klingt es echt wie bei Ede.

  • #3

    Atalante (Montag, 09 September 2013 10:54)

    Sehr schön, während andere lesen oder eben auch fernsehen, sind die Landbewohner so hübsch kreativ. "Trulla Beeker" kommt aber aus Deiner Bastelkiste, oder?

  • #4

    walk-the-line (Montag, 09 September 2013 11:42)

    Nein, "Trulla Beeker" habe ich nicht erfunden (und auch sonst nichts)!
    Echt Realität - brauchte ich nur abzuschreiben.
    Mir war aber selbst dieser Gedanke gekommen, es könnte wie ausgedacht wirken und hatte überlegt, den echten Namen gegen einen erfundenen auszutauschen, nur damit das Ganze nicht als Erfindung missverstanden wird. Crazy, nh.