Wanne
„Total toll. Ich geh da richtig ab!“ hatte mein Tischnachbar Markus kurz vor seiner Abreise über die „Aquaschmerz,-stress Therapie“ geschwärmt. Viel mehr, als dass man dabei mit Kopfhörern im Wasser schwebt und vor lauter Entspannung „richtig abgeht“, war von ihm über diese seltsame Therapie nicht zu erfahren gewesen.
Nun steht sie auf meinem Tagesplan und so marschiere ich weitgehend ahnungslos in die Bäderabteilung. Grübeleien über den Namen der Behandlungsmaßnahme versage ich mir. Ich begnüge mich damit, dass nicht gemeint sein kann, was da steht: Ich will keinen Schmerz im Wasser haben und auch keinen Stress!
Ein zart gebauter Mann öffnet vorsichtig die Tür und begrüßt mich im Flüsterton. Er heißt Dr. Schoreschnikow und geleitet mich hinter eine hellblaue Gardine. Dort steht in einem Baderaum, der mich an Badezimmer aus Heinz-Erhardt-Filmen erinnert, eine wassergefüllte Wanne. Dr. Schoreschnikow sagt leise: „Äs chandelt sich chier um Therapie, wo wir wollen Schmerz besiegen durch Stereo-Tiefensuggestionsprogramm.“ – Ah so. Inzwischen habe ich begriffen, warum wir uns nur flüsternd unterhalten dürfen: Hinter den anderen hellblauen Gardinen liegen bereits Menschen in Tiefensuggestion.
Alles, was Dr. Schoreschnikow nun einleitend über den Schmerz referiert, leuchtet mir ein: Wenn man noch so starke Schmerzen hat und plötzlich steht ein Tiger in der Tür, nimmt man den Schmerz nicht mehr wahr und rennt los. Ergo: „Schmerz ist komplexe Sinneswahrnehmung mit chohem psychischen Anteil.“ Hier setzt das schmerzbesiegende Aqua-Heilprogramm an, bei dem im Zustand höchster Entspannung positive Tiefensuggestionen vermittelt werden, die alte Wahrnehmungsmuster körperlicher Pein überlisten sollen.
Sodann geht’s in die Bütt. Sehr schön warmes Wasser. Dr. Schoreschnikow behängt mich mit Schwimmhilfen, so dass ich rücklings auf dem Wasser schwebe. Besorgt fragt er immer wieder, ob alles in Ordnung und angenehm sei. Dann bekomme ich einen Kopfhörer auf die Ohren und den Hinweis, die Augen zu schließen, denn die Heilwirkung sei tiefer, wenn nur der auditive Kanal geöffnet sei. Auch soll ich nicht auf das achten, was die Stimmen im Kopfhörer sagen, sondern mich einfach fallen lassen und entspannen: „Hören, ohne direkt hinzuhören.
Also gut und los. Entspannungsmusik wie bei der Chakraharmonisierung, Einladung zu einem gedanklichen Sommerspaziergang wie bei einer Phantasiereise und Lockerungsanleitungen wie beim autogenen Training, Feldenkrais oder der progressiven Muskelentspannung. Soweit so angenehm. Wäre da nicht dieser Kopfhörer, der von dem Luftpolsterkissen unter meinem Nacken weggeschoben zu werden droht. Wenn ich das nun zu richten versuchte, würde das Wasser plätschern, der nette Dr. Schoreschnikow herbeieilen und enttäuscht sein, dass ich nicht richtig entspanne. Also lass ich das. Richtig entspannen kann ich nicht, weil ich die ganze Zeit denke, der Kopfhörer rutscht ab, und ich den Kopf starr halte, dass das nicht passiert. Schade um meine erste Aquaschmerzstresstherapiestunde
Doch dann fällt mir ein, was Dr. Schoreschnikow vorhin sagte: Störungen könne man wegatmen. Falls das nicht funktioniere, solle man sie in positive Ereignisse umdenken. Hm. Versuch macht kluch: Ausatmen – „Der wegrutschende Kopfhörer ist mir angenehm.“ – Einatmen – „Jedes leichte Verschieben ist mir angenehm.“ – Pfhhh „Es fördert meine Entspannung.“ – Hmm.– „Je mehr er wegrutscht, desto tiefer entspanne ich.“ – Pfhhh – „Das Wegrutschen ist schön.“ – Hmm. – Pfhhh. Es funktioniert. Ich bin wirklich entspannter. Toll. Ich darf jedoch nicht weiter darüber nachdenken. Denn eine der Stimmen aus dem wegrutschenden Kopfhörer sagt mehrfach: „Nichts denken, nichts müssen, kein Grübeln. Ach wie schön ist das hier im Wasser. Ich schaukele ein wenig und vertraue der Stimme, die verheißungsvoll flüstert: „Ich besiege den Schmerz. Ich bin stärker als der Schmerz.“
Ich fühle mich wohler und wohler. Die Verspannung im Nacken ist nicht mehr zu spüren. Ich höre verschiedene Stimmen, leise, aber bestimmt, von recht und von links und durcheinander. Ich kann nicht alles verstehen, soll ich auch gar nicht, will ich auch gar nicht. Ach, wenn ich doch die ganze Nacht hier so liegen könnte! – Was war das? Tatsächlich! Gerade hat eine der Stimmen zweimal gesagt: „Ich bin meine örtliche Betäubung.“ Dasjanding! Hoffentlich dübelt sich diese Suggestion ganz, ganz, ganz, ganz fest in mein Unbewusstes! „Ich bin meine örtliche Betäubung.“ Yippie!!
Das Deckenlicht flackert auf. Dr. Schoreschnikow nähert sich auf leisen Sohlen, befreit mich von Schwimmhilfen und dem Kopfhörer, fragt fürsorglich nach meinem Befinden und verabschiedet mich nach meinem kleinen Erlebnisbericht mit den Worten: „Die nächsten zwanzig Minuten alles langsam machen.“
Ich kann noch länger, denke ich und freue mich auf mein Bett
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