Ich habe mir von Jan Weiler "Kühn hat zu tun" vorlesen lassen

Wir kennen das vom „Tatort“: Ein Kriminalfall soll erzählt und gelöst werden, doch fünfzig Prozent der Story wird darauf verwandt, die per­sönliche Befindlichkeit des Ermittlers vorzuführen. So auch in Jan Wei­lers neuem Roman „Kühn hat zu tun“, dem Krimi-Debüt des sprachge­waltigen Kolumnisten (ehemals für das SZ-Magazin, den stern, dann für die Welt am Sonntag und die Sonntagsbeilage auf Bayern 2), der seit sei­nem Romanerstling „Maria, ihm schmeckt´s nicht!“ dauerhaft zu den Bestsellerautoren der gehobenen Unterhaltungsliteratur im deutschspra­chigen Raum gehört.

Kühn hat zu tun. Und zwar sehr viel. Folglich bekommen auch wir Leser­Innen bzw. Hörbuch-ZuhörerInnen es hier mit sehr Vielem zu tun: Na­zis und Neonazis, Burn-out und Midlife crisis, Verschuldung, Alters­eins­amkeit, Traumatisierungen, Umweltskandal, ambitioniertem Klein­bürger­t­um, Ehe-, Familien und Geldproblemen – ein bunter The­men­strauß, gebunden um die Mord- und anderen Delikte eines Serientä­ters, der ein gefährliches Spiel mit Kommissar Kühn treibt.

 

Der Roman beginnt mit einer furiosen Geschichte am Ende des 2. Welt­krieges, die ob ihrer Besonderheit und Genauigkeit eine starke Verflech­tung mit der in der Gegenwart spielenden Romanhandlung erwarten lässt. Doch letztlich ist nur ein einziges Motiv – die Kontaminierung des Bo­dens – konsequent in die Geschichte um Kühn eingearbeitet. Hätte Wei­ler weitere Motive des Eingangsszenarios – Zwangsarbeiter, Reputation von Rupert Baptist Weber – stärker einbezogen und dafür den bunten Themenstrauß etwas ausgedünnt, wäre vom Erzählaufbau gewiss eine runde(rer) Sache daraus geworden.

 

Jan Weiler kann sehr genau beobachten und in kleinsten Anmerkungen Befindlichkeiten exakt und wie beiläufig auf den Punkt bzw. Begriff bringen: Als Kühn mit seinem pubertierenden Sohn, der bis gerade noch ganz auf Distanz zum Vater war, eine Geburtstagskarte für Tochter Alina am PC entwirft, heißt es z.B.: „Kühn sah auf die Finger seines Sohnes und stellte fasziniert fest, dass er keine Kinderhände mehr hatte.“ Weiler schildert Milieus und Alltagssituationen mit soziologischer Genauigkeit. Es ist immer eine Freude, wenn er in sein Erinnerungsarchiv der 70er, 80er und 90er Jahre greift und einen mit alten Musiktiteln, Kassettenre­kordern, Moden, Gepflogenheiten, „Tri Top“ und „Capri“-Eis auf die Spur der eigenen Erinnerungen bringt.

 

Der Plot der des Krimis ist ungewöhnlich, bedarf allerdings auch einiger „Unwahrscheinlichkeiten“ (Wiedererkennen und Nicht-Wiedererkennen, plötzlicher Erinnerungsdurchbruch), um vorangetrieben zu werden. Weiler legt ein paar gute falsche Fährten und vereitelt, dass allzu früh klar ist, „wie der Hase läuft.“ Dass zum Schluß mit dem Hinweis auf notwendige Perspektivwechsel viele der zuvor lang und breit entfalteten Probleme (Ehe und Familie, Beförderungschancen, Hausschäden, Geldsorgen, Anzeigen) gleichsam in Luft aufgelöst werden, verfängt und überzeugt wenig.

 

Immer wieder wird die Vorlesekunst von Jan Weiler hoch gelobt. Zu recht. Klare Artikulation, feine zurückhaltende Modulation. Beim Hörbuch „Kühn hat zu tun“ hatte ich den Eindruck, Weilers Vortragsweise changiere ein wenig gewollt zwischen der von Christian Brückner und Max Goldt (und das sage ich nicht des Reimes wegen). Außerdem höre ich mitunter Häme und Besserwissertum im Tonfall, wenn es darum geht, Kleinbürgerlichkeit und political correctness vorzuführen. Das hätte Weiler nicht nötig. Sein Text reicht vollkommen aus, die ironischen Brüche aufzuzeigen. Weniger wäre mehr gewesen.

(Jan Weiler: Kühn hat zu tun. Ungekürzte Lesung, gelesen vom Autor. 7 Audio-CDs. München: Der Hörverlag 2015)


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