Kuranstalt - Dokumentationsroman einer Maßnahme - 12

Wanne


„Total toll. Ich geh da richtig ab!“ hatte Markus, mein anfänglicher Tischnachbar kurz vor seiner Abreise über die „Aquaschmerz,-stress Therapie“ geschwärmt. Mehr, als dass man mit Kopfhörern im Wasser schwebt und vor lauter Entspannung „richtig abgeht“, war von ihm über diese seltsame Therapie nicht zu erfahren gewe­sen.

Nun steht sie auf meinem Tagesplan und so marschiere ich weitge­hend ahnungslos in die Bäderabteilung. Grübeleien über den Na­men der Behandlungsmaßnahme versage ich mir. Ich begnüge mich damit, dass nicht gemeint sein kann, was da steht: Ich habe keinen Schmerz im Wasser, ich will auch keinen Schmerz im Wasser.

 

Ein zart gebauter Mann öffnet vorsichtig die Tür und begrüßt mich im Flüsterton. Er heißt Dr. Schoreschnikow und geleitet mich hin­ter eine hellblaue Gardine. Dort steht in einem Baderaum, der mich an Badezimmer aus Heinz-Erhardt-Filmen erinnert, eine wasserge­füllte Wanne. Dr. Schoreschnikow sagt leise: „Äs chandelt sich chier um Therapie, wo wir wollen Schmerz besiegen durch Stereo-Tiefensuggestionsprogramm.“ – Ah ja.

Inzwischen habe ich begriffen, warum wir uns nur flüsternd unter­halten dürfen: Hinter den anderen hellblauen Gardinen liegen be­reits Menschen in Tiefensuggestion.

Alles, was Dr. Schoreschnikow nun einleitend über den Schmerz referiert, leuchtet mir ein: Wenn man noch so starke Schmerzen hat und plötzlich steht ein Tiger in der Tür, nimmt man den Schmerz nicht mehr wahr und rennt los. Ergo: „Schmerz ist komplexe Sin­neswahrnehmung mit chohem psychischen Anteil.“ Hier setzt das schmerzbesiegende Aqua-Heilprogramm an, bei dem im Zustand höchster Entspannung positive Tiefensuggestionen vermittelt wer­den, die alte Wahrnehmungsmuster körperlicher Pein überlisten sollen.

 

Sodann geht’s in die Bütt. Sehr schön warmes Wasser. Dr. Schore­schnikow behängt mich mit Schwimmhilfen, so dass ich rücklings auf dem Wasser schwebe. Besorgt fragt er immer wieder, ob alles in Ordnung und angenehm sei. Dann bekomme ich einen Kopfhö­rer auf die Ohren und den Hinweis, die Augen zu schließen, denn die Heilwirkung sei tiefer, wenn nur der auditive Kanal geöffnet sei. Auch soll ich nicht auf das achten, was die Stimmen im Kopf­hörer sagen, sondern mich einfach fallen lassen und entspannen: „Hören, ohne direkt hinzuhören.“

Also gut und los. Entspannungsmusik wie bei der Chakraharmoni­sierung, Einladung zu einem gedanklichen Sommerspaziergang wie bei einer Phantasiereise und Lockerungsanleitungen wie beim auto­genen Training, Feldenkrais oder der progressiven Muskelentspan­nung. Soweit so angenehm. Wäre da nicht dieser Kopfhörer, der von dem Luftpolsterkissen unter meinem Nacken weggeschoben zu werden droht. Wenn ich das nun zu richten versuchte, würde das Wasser plätschern, der nette Dr. Schoreschnikow herbeieilen und enttäuscht sein, dass ich nicht richtig entspanne. Also lass ich das. Richtig entspannen kann ich nicht, weil ich die ganze Zeit denke, der Kopfhörer rutscht ab, und ich den Kopf starr halte, dass das nicht passiert. Schade um meine erste Aquaschmerzstresstherapie­stunde.

Doch dann fällt mir ein, was Dr. Schoreschnikow vorhin sagte: Störungen könne man wegatmen. Falls das nicht funktioniere, solle man sie in positive Ereignisse umdenken. Mh. Versuch macht kluch:

Ausatmen – „Der wegrutschende Kopfhörer ist mir angenehm.“ – Einatmen – „Jedes leichte Verschieben ist mir angenehm.“ – Pfhhh „Es fördert meine Entspannung.“ – Mhhhh – „Je mehr er weg­rutscht, desto tiefer entspanne ich.“ – Pfhhh – „Das Wegrutschen ist schön.“ – Mhhh – Pfhhh. Es funktioniert. Ich bin wirklich ent­spannter. Toll.

Ich darf jedoch nicht weiter darüber nachdenken. Denn eine der Stimmen aus dem wegrutschenden Kopfhörer sagt mehrfach: „Nichts denken, nichts müssen, kein Grübeln.“

Ach wie schön ist das hier im Wasser. Ich schaukele ein wenig und vertraue der Stimme, die verheißungsvoll flüstert: „Ich besiege den Schmerz. Ich bin stärker als der Schmerz.“

Ich fühle mich wohler und wohler. Die Verspannung im Nacken ist nicht mehr zu spüren. Ich höre verschiedene Stimmen, leise, aber bestimmt, von recht und von links und durcheinander. Ich kann nicht alles verstehen, soll ich auch gar nicht, will ich auch gar nicht.

Ach, wenn ich doch die ganze Nacht hier so liegen könnte! – Was war das? Tatsächlich! Gerade hat eine der Stimmen zweimal ge­sagt: „Ich bin meine örtliche Betäubung.“ Dasjanding! Hoffentlich dübelt sich diese Suggestion ganz, ganz, ganz, ganz fest in mein Unbewusstes! „Ich bin meine örtliche Betäubung.“ Yippie!!

 

Das Deckenlicht flackert auf. Dr. Schoreschnikow nähert sich auf leisen Sohlen, befreit mich von Schwimmhilfen und dem Kopfhö­rer, fragt fürsorglich nach meinem Befinden und verabschiedet mich nach meinem kleinen Erlebnisbericht mit den Worten: „Die nächsten zwanzig Minuten alles langsam machen.“

Ich kann noch länger, denke ich und freue mich auf mein Bett.

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Kommentare: 2
  • #1

    Birgit Mitz (Montag, 05 August 2013 10:56)

    Danke für diesen Doku-Roman. Er hätte trefflicher nicht sein können. Beim Lesen habe ich laut gelacht. Genau so habe ich es vor ein paar Wochen erlebt. Wie schön war es doch in der Wanne bei Dr. Schoreschnikow.

  • #2

    walk-the-line (Montag, 05 August 2013 11:26)

    Liebe Birgit Mitz,
    das freut mich, dass es Ihnen gefallen hat.
    Gute Nacherholung!
    Doris Brockmann