„Also eigentlich mag ich gerne Bier. Ich glaube, weil ich in einer Bierstadt sozialisiert wurde“, sagt Matthias Nawrat zur Begrüßung. Er schaut dabei immer so in die Videokamera, als mache er die Aufnahme in Eigenregie – selpamachen! –, so, als sei das alles hier einfach mal so dahin improvisiert. Er schaut aber auch so, als säße unsereins mit am Tisch, direkt vis-à-vis, oder gar als sei man diese Videokamera.
Wir sitzen draußen in einem Bierstüberl(?). Herr Nawrat trinkt Bier und sagt etwas über den Übergang vom Gehsteig zu einer Wespe, zu einer Taube, dass der Gehsteig schon irgendwie tot sei, die Taube halt irgendwie nicht, und dass das ganze erstaunlich sei und eigentlich banal. Zwischendurch könnte er so etwas wie: „Leben ist Glück“ gesagt haben, aber da scheppert von nah die Kirchturmsuhr und übertönt banale wie nicht-banale Worte.
Ich trinke auch gerne Bier. Vielleicht, weil auch ich in einer Bierstadt sozialisiert wurde. Aber ich müsste schon ganz schön viel Bier getrunken haben, um die Herrlichkeit des Vortrages erkennen zu können. Möglicherweise hätte sie sich mir besser vermittelt, wenn Herr Nawrat in echt ganz schön viel Bier (Draußen nur Kännchen!) getrunken hätte, statt bloß so zu tun als ob. – Ich wüsste gerne, was das Rentnerpaar schräg hinter unserem Tisch die ganze Zeit denkt. Zwar schaut es hin und wieder diskret herüber, tut aber ansonsten souverän so, als wenn nichts wäre.
Gerade fällt mir ein, dass Benz, der Held in Herrn Nawrats Roman „Wir zwei allein“ auch gern in einer Bierstube sitzt. Die heißt „Rudis Kneipe“ und wird gerühmt ob des dort ausgeschenkten „Riegeler Landbiers“. Für Benz gibt es dort jedoch noch einen anderen Anziehungspunkt: die Grenzgängerin Theres, mit der er von romantischen Rückzugsorten träumt ...
Da steckt sich Herr Nawrat auf einmal ein Stück Essbares in den Mund und sagt: „Ich mag es irgendwie nicht so, wenn mir Leute beim Essen zusehen – kennst du das auch? (huch, er spricht zu mir, ich sitz wahrscheinlich wirklich mit am Tisch) – weil es eigentlich schon so was Intimes ist.“ Dann stehen da plötzlich zwei halbvolle Biergläser auf dem Tisch und ich bin mir sicher, dass ich nicht die Videokamera bin.
Andreas Stichmann stellt sich vor, indem er seinen ersten Roman vorstellt. Der heißt „Das große Leuchten“ und soll im Herbst (Achtung: Wortspiel!) erscheinen. „Der Einsteiger“ sei ein Kapitel aus dem Roman, erklärt Herr Stichmann. Der Erzähler heiße Rupert und wachse in der Einöde bei Aussteigern auf. Er wolle raus in die Welt, starte mit einer sehr starken Außenperspektive und versuche sich erstmal so überhaupt die Welt zusammenzudenken. Dann sehen wir eine Art Hänschen-klein mit Rucksack und bunten Fahnen, das im Dunkeln aufbricht, und hören von ferne die Schiffe tuten und Möwen schreien. Ein kleines dunkelhaariges Mädchen schießt (im Verlauf der dargebotenen Spielszenen zweimal) ein Weltkugel-Bällchen aus der gezeigten kleinen hamburgischen Kiezwelt, die schön muggelig und 100% nicht gentrifiziert ist. Im Hintergrund schwummert die Melodie von „La Paloma“, allerdings nicht in der Version des großen Hans´, sondern eher so im Stil unaufdringlicher und gleichzeitig warm einhüllender Barmusik.
Der kleine Hans hat sich gerade noch mit Müh und Not einen Lolli für seine Reise organisiert, da holt uns das Autorenporträt auch schon wieder in die Realität zurück, wo jemand ein kleines Spiegelei backt und es einem anderen verkehrt herum auf einem Pappteller plaziert. Sogleich wird der Schriftzug: „Klagenfurt 2012“ eingeblendet. Ich finde, Herr Stichmann kann sich getrost ein Ei drauf braten, dass er zum Bewerb eingeladen wurde, und wünsche ihm im Sinne der zweiten Bedeutung dieser schönen alten Redewendung, dass er sich fort in der blauen Ferne des Wörthersees nicht von Vorwürfen stören lassen und pöse Kritik ignorieren möge.
Dann kommt noch eine andere Realitätsebene ins Spiel, die aber eher an Traumwelten erinnert, an Couchsurfing und Opiumhöhle. Man
sieht verschwommen den Lolli vom Reisestart und wie jemand auf dem Rücken eines anderen schreibt. Tja und am Ende sehen wir noch einmal in die menschenleer gewordene Kiezwelt: Dort leuchtet es
zwar, aber es ist nur ein kleines Leuchten, das leicht gedimmt von bunten Lichterketten blinkt. Die hängen am Kiosk, liegen auf der Straße, neben einem umgestürzten Fahrrad und einem
umgeschlagenen Schirm, und darüber geht der Wind. Und wir hoffen sehr, Brecht möge nicht recht haben mit seiner düsteren Prognose: "Von diesen Städten wird bleiben: der durch sie hindurchging,
der Wind!" Bütte, bütte nicht!
Wo der Herr Stichmann denn nun gesessen hat? Na, in einer Erzählstube halt!
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