Bachmannpreis 2012 - 8 / Stuben aller Art (Martynova, Moster)

Das ist vielleicht das wichtigste Zimmer“, höre ich Olga Marty­nova sagen und klatsche in die Hände. So direkt hat sich noch kei­ne(r) der AutorInnen in meinen Themenrahmen „Stube“ eingefügt. Doch es gibt ein Problem: Die anschließenden Aussagen passen ir­gendwie nicht dazu. Ich schaue mir die Stelle im Videoporträt ein weiteres Mal an. Wieder höre ich „Zimmer“. Hin und her und her und hin: Ich beschließe, nicht „Zimmer“, sondern „Thema“ zu hö­ren. Ja, das passt. Eigentlich schade.

Was ist nun das wichtigste Thema im Schreiben von Frau Martyno­va? „Die Zeit überhaupt“, „die Eigenschaften der Zeit“, „die Spu­ren der Vergangenheit“, ein sehr wichtiges Thema sind auch: „Deutschland und Russland“, „das Leben nicht zwischen (diesen) zwei Welten, sondern in zwei Welten.“

Für die literarische Produktion ergibt sich daraus folgende schrift­stellerische Arbeitsteilung: Lyrik in Russisch, Prosa in Deutsch. Be­stimmt stammt das, was Frau Martynova zu Beginn des Videopor­träts vorliest, aus dem erstgenannten Tätigkeitsfeld. Ich kann nicht Russisch, kann aber Rhythmus hören, Sprachmelodie, elegischen Tonfall – it sounds like a sad russian poem. Aber vielleicht klingt die russische Sprache bei allen, die ihrer nicht mächtig sind, immer sofort elegisch. Vielleicht liest Frau Martynova da etwas ganz Lus­tiges, und am Ende klingt es für mich so, wie die Zeilen des Kleist-Preisträgers Max Goldt in den Ohren einer des Deutschen nicht mächtigen Russin klängen: „Wenn Juwelen aus Versehen funkeln/und Rüben nur aus Rücksicht runkeln/wenn die Gemeine Gartenamsel intensiv nach Käse riecht und der Emmentaler Käse jedes Jahr gen Süden fliecht, dann kommt ...“ (Nein ich muss hier abbrechen. Ich will nicht gegen Urheberrechte verstoßen, ich will nicht abgemahnt werden, bütte, bütte nicht!)

Im weiten Feld der Prosa ist Frau Martyno­va als Essayistin, Ro­manautorin und Kritikerin tätig. Ihr Debütroman „Sogar Papageien überleben uns“ erzählt in achtzig kurzen Prosastücken, die durch eine deutsch-russische Liebesgeschichte zusammengehalten wer­den, von den Veränderungen und Entwicklungen Russlands in der Zeitspanne vom Zarenreich bis zur Perestrojka. Im rasanten Wech­sel zwischen verschiedenen Zeitebenen, Themen und Personen macht Frau Martyno­va durchsichtig, wie „die Spuren der Vergan­genheit“ die Gegenwart bestimmen und, umgekehrt, die Gegenwart den Blickwinkel vorgibt, unter dem Vergangenes erschlossen wird.

Frau Martyno­vas Empfehlung, dass AutorInnen „ab und zu auch Kritiken schreiben sollten, damit sie zeigen, welche Literatur sie mögen, erwähne ich nur noch am Rande, denn ich muss ja endlich verraten, wo wir uns hier befinden.

Den größten Teil des Videofilms geht Frau Martyno­va durch ein Museum, vorbei an weißen Figuren und durch Räume, die entwe­der rot oder blau gestrichen sind. Ein wenig Güldenes und ein biss­chen schwarz kommen auch in den Blick. Also: Flaggentechnisch ist der Fall klar: weiß-blau-rot meets schwarz-rot-gold. Wir sehen in eine russisch-deutsche Geschichtsstube!

 

Wäre ja zu schön gewesen: Stefan Moster lebt seit zehn Jahren in Finnland. Was läge da näher, als ihn im Autorenporträt in einer Schwitzstube (auch: finnische Stube, vulgo: Sauna) zu zeigen? Je­der Finne besitzt eine. Jeder normal Assoziierer denkt sofort an sie, wenn er an Finnland denkt. Nur nicht unser Autorenvideoporträtist. Dem anempfehle ich die Aufnahmen von Denis Schecks Gesprä­chen mit isländischen Autoren: Da unterhält man sich (und uns) konsequent in einem (isländischen) Hot Pot. Das hat was. Gut, es kann auch sein, dass Herr Moster nicht wollte, von wegen zu sehr Klischee, zu unverhüllt, zu heiß, zu schweißtreibend, zu peinlich. Was weiß ich.

Statt schummrig beleuchteten Fichtenbrettern zeigt das Videopor­trät ausschließlich Außenaufnahmen: Wasser, Schiffe, Klippen, Herrn Moster am Hafen, Herrn Moster im Straßenafé, Herrn Mos­ter auf dem Wasser, u.ä. Wasser, sagt Herr Moster, ist die „Pro­jektionsfläche für die Sehnsucht“. Alle ziehe es ans Meer, das habe wahrscheinlich nur damit zu tun, dass man dann Offenheit vor sich habe. Wo Was­ser sei, sei auch Licht, also die Offenheit verdoppele sich dadurch sozusagen. - Mh. Ich dachte immer, wo Sonne ist, ist auch Licht, und dass man Offenheit nicht berechnen kann, sozusa­gen. Aber egal.

In den Romanen von Herrn Moster ist Wasser, resp. Meer, ein wichtiges Motiv: Der Handlungsort des Debütromans „Die Un­möglichkeit des vierhändigen Spiels“, in dessen Zentrum ein Mut­ter-Sohn-Konflikt steht, ist ein Kreuzfahrtschiff auf dem Weg nach Patagonien. Der zuletzt erschienene Roman „Lieben sich zwei“ er­zählt von einem Paar, Mitte dreißig, das von Süddeutsch­land nach Hamburg gezogen ist und dort mit enttäuschten Erwar­tungen, nicht nur bezüglich der doch nicht am Meer liegenden Han­sestadt, zu kämpfen hat.

Unterwegs-Sein ist ein weiteres wichtiges Motiv. Herr Moster schickt seine Romanfiguren auf eine Reise bzw. „siedelt sie um“. „In einer fremden Umgebung müssen sie sich“, wie es im Porträt heißt, „neu orientieren, machen unbekannte Erfahrungen auf Schif­fen, am Hafen, am Wasser.“

Nachdem ich die Romane und das Autorenporträt angeschaut habe, bin ich mir sicher, Herr Moster war für die Nicht- Schwitzstu­ben-Variante. Ich werde mir mal ein paar Gedanken zu meinen tiefverwurzelten Vorurteilen machen.

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