Ich lasse mir ungern etwas einreden – am allerungernsten von Frauenzeitschriften. Dass ich den Flyer vom „Figurella-Ladies-Fit“ nicht sofort in die Papiertonne geworfen habe, steht also in keinem Zusammenhang mit den aktuellen Titelthemen von „Brigitte“, „freundin“, etc., sondern geschah aus freiem Willen. Der hatte mich urplötzlich ermuntert, mir und meinem Körper eine Freude zu machen. Danke freier Wille, sage ich, vielleicht passt dann am Ende sogar noch das lavendelfarbene Leinenkleid, das ich mir letztes Jahr bestellt, aber leider noch nie getragen habe.
Der „Figurella“-Flyer wirbt mit einer „Sommer-Offensive“, bei der man vier Monate trainieren kann, aber nur für drei Monate bezahlen muss. Zusätzlich gibt es einen Gutschein zur Weitergabe an eine Freundin, die dann dreimal kostenlos zum Training mitkommen darf. Geli war natürlich begeistert, wie immer, wenn es etwas für lau gibt. Nachdem ich sie mit einer von meinen Bollerhose notdürftig versorgt habe – „Mönsch, haste nichts Flotteres?“ „Aber Geli, wir sind doch nur unter Frauen.“ „Deshalb ja gerade.“ – ziehen wir zum Probetraining los.
Nadine, „Ich bin eure Trainerin“, stellt Geli, mich und vier weitere Neuanmeldungen zuerst mal auf die Körperfettwaage und notiert eifrig alle Daten in einem Personalbogen: „Das machen wir regelmäßig einmal im Monat, so habt ihr einen tollen Überblick über eure Trainingserfolge.“ Ich habe erstmal einen tollen Überblick über meine Tafelfreudenerfolge, und der versetzt mir einen so gewaltigen Motivationsschub, dass ich mich bei der anschließenden Einführung in das „völlig neue Gruppen-Zirkel-Training“ sofort als Versuchskaninchen melde, während die anderen noch genant an ihren trockenen Sweatshirts ziehen. Acht Trainingsstationen gilt es zu durchlaufen, an denen jeweils eine der verschiedenen Hauptmuskelgruppen besonders trainiert, d.h. aufgebaut wird, und zwar „ganz speziell abgestimmt auf die Bedürfnisse von uns Frauen, suuuperschonend und suuupereffektiv. Ihr werdet die Geräte schon nach kurzer Zeit lieben.“
Nachdem wir uns alle der Reihe nach einen ersten Eindruck von unseren zukünftigen Geliebten gemacht haben, ist das Rolle-Band-Training dran. Dazu geht es eine Etage tiefer in einen angenehm bedufteten, aber höchst unangenehm beschallten Raum. Im Halbkreis stehen da aufgebaut: fünf Geräte zur vibrierenden Bandmassage und fünf Geräte zur vibrierenden Rollenmassage. Weil alle in Betrieb sind, herrscht hier ein Höllenlärm. Nadine schreit uns an: „Das ist supertoll für euer Lymphsystem! Einweisung kommt später, wenn wieder was frei ist.“
Also zuckeln wir ohne Einweisung weiter zu den Geräten für das Ausdauertraining: Stepper, Crosstrainer, Ergometer. „Der Crosser bringt viel mehr als das Ergo“, informiert Nadine. Ergo will ich crossen. „Ihr fangt für den Anfang am besten erstmal mit den Widerstandsstufen 3 oder 4 an.“ Ich drückte auf 7. Denn ich erinnere mich, wie Nadine uns zuvor energisch ins Gewissen geredet und dabei mehrfach betont hat, dass wir uns hier auch ordentlich anstrengen müssen: „Ihr müsst euch richtig fordern, auspowern, richtig schwitzen, sonst bringt das nichts.“
Sie hat noch etwas anderes betont: „Trinken, trinken, trinken!“ Täglich über zwei Liter – beim Sport natürlich noch mehr –, weil das ganz, ganz wichtig sei für unser Wohlbefinden und gegen die üblen Stoffwechselschlacken in unserem Körper. Sodann haben wir am „Servicepoint“ allesamt ein Probiergläschen vom hauseigenen Molke-Drink kredenzt bekommen, weil Molke einfach das Größte sei, wie Nadine nicht müde wurde, uns vorzuschwärmen: „Molke schwemmt die Schlacken turbomäßig raus und ist auch noch lecker.“
„Und auch schön teuer“, konterte Geli, die natürlich als erstes die Preisliste an der Theke studiert hatte. „2,80 für 0,3 Liter! Die haben doch ´n Knall! Für 2,80 mixe ich dir mit dem Aldi-Molke-Pulver so viele Molke-Drinks, dass du bis Nikolaus Vorrat hast!“
Im Rolle-Band-Raum sind inzwischen fünf Geräte frei. Eins zu wenig für unsere Startergruppe. Also kommt Geli in die Warteschleife. Die zieht zwar ein langes Gesicht, ist aber nun mal bloß auf Gutschein hier, und wer nix bezahlt, kann keine Vorzugsbehandlung mit Extrawurst erwarten. Auf der rotierenden Holzrolle zu sitzen und sich die Zellulitis massieren lassen, ist schon ein tolles Gefühl. Ohne eigene Anstrengung werden die üblen Schlackenstoffe herausgeschleust und alle Gewebe auf der Stelle fester. Das kann frau an dem schlimmen Juckreiz merken, der nach kurzer Zeit einsetzt und anzeigt, dass die Durchblutung suuupertoll auf Touren gekommen ist. Da weiter nichts zu tun ist, als das Gekribbel auszuhalten, bleibt Zeit genug, um in einer der vielen herumliegenden Illustrierten zu schmökern. Das tuen die routinierten Ladies im Band ausgiebig und geradezu weltvergessen.
Weil ich sowieso auf Geli warten muss, die sich laut ächzend auf einer Rolle plaziert, nachdem wir fünf zahlende Mitglieder mit dem Band fertig sind, kann ich sowohl die Ladies als auch die neuesten Frauenzeitschriften in Ruhe studieren. Mir fällt auf, dass die vibrierenden Damen, die den Abbildungen im Blätterwald noch nicht ganz entsprechen, offenbar einen gemeinsamen Lektürestil pflegen, denn alle blättern die provokanten Fotos auf den vorderen Seiten hastig durch und geraten erst beim letzten Drittel in den Zustand der Weltvergessenheit, dort, wo so stark rivalisierende Themen ausgefochten wurden, wie: „Sommerliche Eintopf-Variationen“, „Last-Minute-Tanga-Diät“, „Sahnegenuss mit süßen Früchtchen“, „Schokoeis ist Nervennahrung“, „8 Kilo in 2 Wochen“, „Mit Ballaststoffen gegen den Ballast in unseren Körpern“.
Nadine ist nach der Einweisung grazil von dannen gefedert. Die Mitstreiterinnen – alle vier recht unkommunikativ, also ohne rechten Sportsgeist – sind verkniffen hinterhergetrapst. „Ihr kommt ja jetzt ohne mich klar“, hat uns die Trainerin zum Abschied versichert. „Sonst, wenn was ist: fragen, fragen, fragen. Dafür sind wir ja da. Viel Spaß und Tschühüs!“
Viel Spaß habe ich schon seit geraumer Zeit: Nicht nur, weil mich mein neues Körpergefühl mächtig erfreut. Mir scheint, das Muskeltraining und Rolle-Band-Durchschütteln rufen eine geradezu berauschende Wirkung hervor, die dazu führt, dass ich nun mit einem eigenartigen Dauerlächeln neben Gelis Rolle stehe. Ob diese Heiterkeit von den Endorphinen kommt? Donnerwetter. Wäre ja eine feine Angelegenheit, wenn das mit den körpereigenen Drogen so simpel funktionieren würde, überlege ich, als es plötzlich gewaltig poltert und Geli von jetzt auf gleich aus meinem Blickfeld verschwunden ist. Offenbar hat sie beim Positionswechsel die Balance verloren und ist von der Holzwalze gerutscht. Wutschäumend liegt sie am Boden und haut mit aller Gewalt auf die Polstermatte: „So ein Scheiß! Dafür geb ich doch kein Geld aus!“ zetert sie, reckt den anderen Arm in die Höhe und lässt sich von mir sachte in die Vertikale ziehen.
„Komm“, versuche ich sie zu trösten, „jetzt gehen wir erstmal in die Sauna.“
Die Vibrierenden zeigen wenig Anteilnahme. Wahrscheinlich bilden sie sich wer weiß was darauf ein, dass sie wer weiß wie lange schon „Figurella“-Mitglieder sind und wir nur die tumben Debütantinnen. Falls sich jetzt eine von denen aus nicht-„Band“-bedingten Gründen schütteln sollte, wenn die zwei Bollerhosen hier den Raum verlassen, werde ich sie mit einem Blick strafen, der ihnen klar macht, dass ich nicht im mindesten irgendein äußeres Anzeichen dafür zu erkennen vermag, dass sie hier schon wer weiß wie lange Mitglieder sind. An der Tür drehe ich mich kurz um. Alle schmökern weltvergessen.
Im Umkleideraum herrscht reges Treiben. Die Überfüllung rührt daher, dass in fünf Minuten ein offenbar sehr beliebter Kurs beginnt: „Power step“. Alles schnattert, wie toll Power step bei Jürgen sei: „Ich finde, Jürgen macht das so klasse, ich bin hinterher immer total fertig.“ „Ja, ja, aber es ist bei ihm inzwischen einfach zu voll.“ „Vielleicht könnte er ja noch einen zweiten Power-step-Kurs anbieten.“ „Er bietet ja schon SenFi an.“ „Wasdasdenn?“ „Sensual Fighting.“ „Was?“ „Das ist mehr was mit Entspannung.“ „Ach so. Ist es da denn leerer?“ „Glaub nicht.“ Und so jürgelt es hin und her. Und dann nix wie weg in den Kurs. Gute Plätze sichern. Geli und ich, allmählich vollkommen nackt, haben nun den ganzen Raum zuzüglich der „Badeoase“ für uns allein.
„Los komm, erstmal stundenlang duschen und dann stundenlang entspannen“, suche ich Geli zu ermuntern. Die bewegt sich schon wieder so wendig, als wenn nichts vorgefallen wäre, und zieht nun sämtliche Warenproben, die sie noch rechtzeitig vor ihrem Unfall im Rolle-Band-Raum aus den Frauenzeitschriften herausgefischt hat, aus den Bollerhosentaschen hervor und fängt an zu sortieren.
„Das ist jetzt blöd“, höre ich sie sinnieren, „dreimal Haarspülung, aber kein Shampoo. Du, sag mal, kann ich was von deinem Shampoo haben? Kriegste auch ne Spülung für, hier.“
Zwar benutze ich nie Haarspülungen, finde Gelis Einladung zu einem Tauschgeschäft aber so verrückt, dass ich das Angebot nicht abschlagen kann und stecke die Probe ein.
„Hier, die Nivea-Body-Lotion, kriegste noch dazu“, stockt die Großherzige auf, „davon krieg ich Pickel. Weiß auch nicht, warum ich die mitgenommen habe.“
Kurze Zeit später schleppen wir unsere zerschundenen, aber wunderbar duftenden Körper in die Bio-Sauna und fühlen uns suuupertoll, einfach weil wir ihn geschafft haben, unseren ersten „Figurella“-Tag.
„Weißt du, was mich völlig umgehauen hat“, resümiert Geli, „dass hier fast alle Tangas tragen. Vom Teenie bis zur Oma alle im Tanga. Hättest du das gedacht?“
„Nee. Aber ich finde uns insgesamt ziemlich overdressed.“
Geli kichert: „Weshalb bin ich vorhin wohl ewig lange vor dem Schild stehengeblieben, das „Haarentfernungen aller Art“ verbietet? Weil ich vor diesen affigen Stepperinnen absolut nicht die Hosen runterlassen wollte.“
„Jetzt wissen die zwar nicht, was du drunter trägst“, sage ich, „werden aber in der ersten Verschnaufpause bei Jürgen sofort die Köpfe zusammenstecken und besprechen, ob du wohl schlimm kurzsichtig, Analphabetin oder einfach nur schwer von kapé bist.“
„Die können von mir aus denken, was sie wollen mit ihren frei schwingenden Hinterbacken. Ich komme mit dir noch zweimal hierhin, und dann können die mich alle mal gerne haben.“
Komisch, denke ich, wenn ihr die anderen Ladies so abgrundtief egal sind, wieso hat sie dann so lange vor dem Schild gestanden. Analphabetin ist sie jedenfalls nicht.
„Und weißt du, was wir beim nächsten Mal unter die Lupe nehmen?“ projektiert die mittlerweile ordentlich schwitzende Miss Marple: „Die Intimrasuren!“
„Geeeeeli!!“
„Was denn? Das müsste echt mal genauer untersucht werden: Wer und wie und warum und für wen? Ist doch hochinteressant. Hast du die Genitalfrisuren etwa nicht gesehen?“
„Wir können doch nicht jeder Frau hier sensationslüstern auf die Teile gucken!“
„Ach“, schubst sie meine Skrupel zur Seite: „Meinst du die machen das zum Weggucken?“
Beim Gedanken an die bevorstehenden beiden „Figurella“-Tage mit ihr wird mir ein bisschen mulmig. Schließlich habe ich für vier Monate gebucht und starke Zweifel, dass es mir vollkommen gleichgültig sein wird, in der ganzen Zeit wegen Sippenhaft von allen anderen gemieden zu werden. Ich muss Gelis taktlosen Feldforschungen Einhalt gebieten. Aber wie?
„Und außerdem“, tönt es da von der Bank über mir, „müssen wir uns auf jeden Fall auch noch die ganzen Tattoos und Piercings genauer anschauen.“
Ich mache ihr einen mordsmäßigen Aufguss, verlasse den Ort der peinsam sexuellen Freizügigkeit und schrecke mich in der weiläufigen, griechisch-römisch-türkisch-ayurvedisch anmutenden Duschbad-Abteilung mit einem wuchtigen Vollguss ab.
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