Papapaparazzi

Kleines Glaubenbekenntnis


Ich glaube mit dem öffentlichen Interesse am Papst ist es ähnlich wie mit Kochsendungen, „Landlust“ und Königshochzeiten im Fernsehen: Man betrachtet ein Paralleluniversum.

Erstaunlich ist, dass angesichts leerer Kirchen, ansteigender Kir­chenaustrittszahlen und unverhohlener Ignoranz gegenüber kirchli­chen Normen und Werten plötzlich alle den Blick gen Vatikan rich­ten, weil dort ein Papst seinen Vorruhestand verkündet.

 

„Who cares?“ – wäre die Antwort, die man hätte erwarten können. Doch nein, selbst die erklärten Gegner von Kirche und Papst kön­nen den Blick nicht abwenden und vertreiben sich die Wartezeit bis zum neuen Papst mit einem getwitterten Papstwitz nach dem ande­ren.

 

Ich glaube nicht, dass sich in dem großen öffentlichen Interesse am Papst ein Glaubensinteresse ausspricht (das ansonsten schön ver­borgen gehalten wird), so wie den Millionen „Landlust“-Fans ja auch keine flächendeckende Schrebergartenbewegung entspricht und die Zunahme an Kochsendungen eben auch kein Indiz dafür ist, dass die Deutschen neuerdings alle gut und gerne kochen – viel­mehr sitzen die meisten lieber gemütlich auf der Couch, mümmeln ein praktisches Fertiggericht und schauen derweil anderen beim Kochen (möglichst komplizierter Gerichte) zu.

 

Ich glaube auch nicht, dass „die Medien“ mal wieder künstlich ein Interesse geschaffen haben, um es dann ausgiebig befriedigen zu können. Vier Wochen lang ein Thema zu hypen, mit dem kaum je­mand etwas anfangen kann, das schaffen weder das vierbuchstabige Revolverblatt noch ein täglicher ARD-Brennpunkt.

 

Wie lässt sich das unerwartete Papapaparazzitum erklären?

Ein Grund könnte die Sehnsucht nach Verbindlichem sein, nach et­was, das hinausweist über die alltägliche Wahrnehmung von Belie­bigkeit und Unbeständigkeit. Vielleicht eröffnet die Inszenierung der als überholt geglaubten kirchlichen Macht den von Informati­onsfluten umspülten Einzelwesen, die gebannt auf ihre diversen Displays starren, eine Möglichkeit, die Erfahrung von etwas Be­ständigem und Erhabenem zu machen. Darin besteht ja die Aufgabe von Kult und Ritual: repräsentativ Stabilität, Sicherheit, Tradition und auch Zusammengehörigkeit zu vermitteln.

 

Das scheint auch oder gerade dann zu funktionieren, wenn die Fas­zinierten sich inhaltlich abgekoppelt haben, von dem, um was es geht – so wie die meisten, die jede TV-Übertragung von Ereignis­sen aus europäischen Königshäusern gebannt verfolgen, überzeugt zu Parlamentswahlen gehen und nicht von den gekrönten Familien beherrscht werden möchten.

 

Je andersartiger desto faszinierender, hieße die Losung. Es ist die Hülle, (das Äußere, die Form, die Fassade), die den Zauber erzeugt, nicht das, was sie enthält, eine Hülle, die alt und ledrig ist und sich gerade deshalb gut behaupten kann im wahllosen raschen Wechsel der Moden.

Julian Barnes hat es in „A History of the World in 10½ Chapters so formuliert: „Religion decays, the icon remains; a narrative is for­gotten, yet its representation still magnetizes“. (2009: 133) – Die Religion zerfällt, das Symbol bleibt, eine Erzählung wird verges­sen, doch seine Repräsentation zieht weiterhin an.

 

 

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