Kuranstalt. Dokumentationsroman einer Maßnahme - 7

Jugendherberge


Wie die Klebeband-Aktion gelaufen sei, frage ich Anna beim Früh­stück. Die winkt ab, weist mit dem Kopf Richtung Fens­terseite und sagt: „Die da hinten hat uns verraten. Die hat ihm ´ne SMS ge­schickt und ihn gewarnt. Wie blöd muss man sein, wenn man kei­nen Spaß versteht! Aber die ist in den verliebt, obwohl der so eine nette Frau hat. Das geht doch gaar nicht.“

 

Ich frage, ob nun der Petze die Tür zugeklebt werde. „Ich habe von den zehn Rollen Tesa noch ein paar übrig. Aber die sind zu schade für die blöde Kuh!“ Dann trinken wir ein bisschen Tee oder Kaffee, beißen in Brötchen und lächeln uns kauend an.


Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist: Will ich „die Mädels“ auf­muntern, bin ich von einer umlaufenden Kasperaditis infiziert oder kommt nach ein paar Tagen Klinikaufenthalt so etwas wie eine ju­gendherbergige Gruppendynamik in Gang? Jedenfalls schlage ich vor, den Beutel mit Früchten zu verstecken, der auf Heiners Platz liegt. Heiner will heute einen Obsttag machen – alternativ zu einer ganzen Woche Heilfasten, wie er es ursprünglich geplant hatte. Ver­mutlich schmeckt es ihm einfach zu lecker hier mit uns zusammen, was ich gut verstehen kann.

Der Beutel wandert auf den Stuhl von Markus, der bereits zum Aquajoggen entschwunden ist. Heiner kommt an unseren Tisch und wundert sich. Ich sage, es sei etwas geändert worden. Er solle heute heilfas­ten. Heiner wundert sich noch immer, bleibt aber völlig ru­hig. Viel­leicht ist der Hunsrücker an sich so. Er gießt sich Tee ein und hält nach der Bedienung Ausschau. Kurz bevor er ihr winkt, er­löse ich ihn und zaubere den Obstbeutel auf den Tisch. Wir alle la­chen breitmaul­froschartig und herzhaft. Heiner natürlich auch. An diesem Tisch versteht man Spaß!

 

Dann müssen wir zum Vortrag „Rheumaernährung“. Ich unterlasse spöttische Bemerkungen zum Titel wie: Lernen wir jetzt, wie wir das Rheuma richtig ernähren oder wie sich das Rheuma ernährt? Das ist albern, aber mich ärgern so doofe Komposita, die nur Platz sparen sollen und meist so einen Un-Sinngehalt haben. (Mitunter mag ich substantivische Eindampfungen auch ganz gerne. In der Korrespondenz mit Ämtern, bei Mahnungen oder Beschwerde­briefen bin ich geradezu ein Nominalstilfan inklusive Bandwurm­satzbildungsanhängerschaft.)

Im Vortrag erfahren wir, dass wir Schweinefleisch samt und son­ders vergessen können. Am allerschlimmsten sind Schweineleber und -wurst. Der allerallerallergrößte Feind ist jedoch das Schwein­schmalz. Denn das hat 1433mg/100g Arachidonsäure! Was das be­deutet, kann man sich erst vorstellen, wenn man weiß, dass wir (Rheumatoiden) unter 50 mg pro Tag von diesem bösen Stoff zu uns nehmen dürfen, der die Bildung von Entzündungsmediatoren anfeuert, vulgo: Schmalzstulle = Gelenkaua.


Aus welchem Teil Deutschlands die nette Diätassistentin stammt, die uns dieses und vieles andere über richtige Ernährung erzählt, kann ich nicht ausloten. Jedenfalls zwingt ihre mundartliche Prä­gung sie dazu, jenen bösen Stoff so auszusprechen, dass ich immer nur A-arschidonsäure höre. Und ab irgendeinem Zeitpunkt höre ich nur noch A-arschidonsäure und schüttele mich und fühle mich wie in der siebten Klasse, wenn einer im Englischunterricht „breckfast“ sagte, und stoße Anna an und sage kichernd A-arschidonsäure. Und auch Anna fängt an zu kichern wie damals Berni, wenn ich sie anstieß und dieses „breckfast“ imitierte. So kichern wir uns durch den Vortrag.

Was bitteschön ist das? Regrediert man zwangsläufig immer irgendwann, wenn man „in Kur“ ist?

 


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