Kuranstalt - Dokumentationsroman einer Maßnahme - 13

Mitpatienten II


Es gibt Mitpatienten, die stöhnen ständig. Und zwar nicht nur, wenn sie bei trockengymnastischen Übungen neben einem auf der Matte liegen, sondern auch schon bevor die Übungen losgehen, wenn wir draußen im Gang auf unsere Vorturnerin warten.

Dass diese mal wieder zu später sei, wird dann zum Beispiel gestöhnt, oder dass es heute viel zu heiß für Trockengymnastik sei, oder einfach überhaupt alles puh, stöhn, doof.

 

Als harmoniesüchtiger Mensch habe ich mich anfangs bemüht, im­mer sogleich etwas in die andere Waagschale zu werfen, um die Stimmung zumindest ins Gleichgewicht zu bringen, also: Frau Horx sei immer pünktlich, nur vor diesem Termin habe sie eine Wassergymnastik-Gruppe, da müsse sie leider warten, bis alle wie­der aus dem Schwimmbad seien. „Dann müssen die Termine eben anders gelegt werden!“, donnern die Stöhner zurück. Oder ich sage: „Wir haben so lange auf den Sommer gewartet, da wollen wir uns doch jetzt nicht beschweren, wenn er dann mit aller Macht kommt.“ Das halte kein Schwein aus, diese Affenhitze, maulen sie flügelschlagend, und dann auch noch Sport!

Auch habe ich zur netten wieselflinken Speisesaalbediensteten so­fort gesagt, sie kümmere sich ganz hervorragend um uns und ich fühlte mich sehr wohl hier, als ich mitbekam, wie sie von zwei Stöhnern angepatzt wurde, weil denen die fünf Brotsorten und vier Salate viel zu wenig Auswahl waren und immer dasselbe, einfach unzumutbar!

Spätestens da aber ist mir klar geworden, dass man harmonietech­nisch nichts gegen die Stöhner ausrichten kann. Sie stöhnen wie an­dere atmen: unentwegt und lebensnotwendig. Nähme man ihnen den Grund zum Stöhnen, sackten sie zusammen wie der Dressman Hemdenbügler, wenn man die Heißluftzufuhr abschaltet.


Das einzige, was hilft, ist Ignoranz. Man muss sich von ihnen fern­halten, wenn man fröhlich bleiben will. Sonst läuft man Gefahr, angesteckt zu werden. Also habe ich mich immer schön abgewandt, wenn sich neben mir ein Stöhner aufblähte und hab die Öhrchen auf Durchzug gestellt.

Und so kam es, dass ich die meiste Zeit der Kur gut gelaunt war und angenehme Nicht-Stöhner kennengelernt habe, die lustig und auch mal ernst sein konnten, rücksichtsvoll waren und vielseitig in­teressiert und die es vermieden, ständig von Krankheiten zu spre­chen, es Gottseidank aber nicht vermieden, in ihrem Herkunftston­fall zu sprechen: bremisch, hunsrückisch, berlinerisch, ruhrpöttisch, schwäbisch, ostwestfälisch – ein kleiner deutscher Melting Pot im Wandelgang gegen Kurtristesse.

Nun weiß ich z.B. dass junge Stuttgarter weder ein Portemonnaie noch eine Geldbörse kennen, sagt man diese Worte schauen sie einen verblüfft an, als habe man ein Kunststückchen angekündigt, und klärt man sie auf, sagen sie: „A wa, moinsch a Geldtascherl!“ Verspeist jemand in der Gegend zwischen Trier und Koblenz Sü­ßigkeiten, nennt er das nicht wie wir Nordrhein- und Ostwestfalen „schnucken“ oder „schnuckern“, sondern „schnausen“. Mir gefällt das fast besser.

Auch habe ich hier jetzt erst erfahren, was das „Mors, Mors“ hin­term „Hummel, Hummel“ bedeutet, nämlich das, was man erhält, wenn man das „hinterm“ nicht mit m sondern mit n schreibt, aber eigentlich noch drastischer, eher so das Wort, das in „Mors“ schon ein bisschen anklingt, dann aber noch ungefähr Hundert Jahre Laut­verschiebung benötigt, um zu dem zu werden, was es ist.

Natürlich habe ich von meinen netten Mitpatienten noch viel mehr erfahren. Aber das verrate ich natürlich nicht. Ich bin ja diskret.

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Kommentare: 1
  • #1

    Atalante (Donnerstag, 23 August 2012 11:09)

    Sehr amüsante Schilderung, da möchte man geradewegs kurbedürftig werden.

    Beim Stöhnen, Jammern und Nörgeln könnte es sich auch um eine typisch deutsche Eigenschaft handeln. Davon geht wenigstens der Amerikaner Eric T. Hansen in seinem Büchlein Nörgeln! aus.

    Wenn ich mir selbst an die Nase fasse, ich nörgele auch selbst mal gerne vor allem über Bücher. ;)