Kuranstalt. Dokumentationsroman einer Maßnahme - 9

Quäker I


Quäker kenne ich nur aus Sonntagnachmittagsfilmen. Zum Beispiel aus dem Bürgerkriegsdrama „Lockende Versuchung“ mit Gary Cooper.

Ich erinnere mich an die freche Gans Samantha, die den kleinen Sohn der Quäkerfamilie ärgert. Der wehrt sich mit Wasser­strahl und Morddrohung. Seine Mutter ahndet das als einen Verstoß gegen das Gebot der Gewaltlosigkeit, geht aber wenig später mit dem Besen auf einen Soldaten los, der die gewaltfrei gehaltene Gans schlachten will. Diese und manch andere Lehrszenen über den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit spielt das Familiendrama durch. Der Konflikt um das Pazifismus-Ideal spitzt sich zu, als die Konföderierten näherrücken und es zu entscheiden gilt, wie man sich vor der Gewalt schützen kann, ohne Gewalt an­zuwenden. Der älteste Sohn schießt, der Vater nicht.

 

Alles schon lange her, eher englisch und amerikanisch, ein bisschen amish, gewaltfrei und fromm – das fällt mir so ein, wenn mich je­mand nach den Quäkern fragte. Doch nun werde ich eines Besseren belehrt. Wie es ausschaut sind die Quäker nicht ausge­storben und amerikanisch, sondern still alive und auch deutsch. Unweit meines derzeitigen Aufenthaltsor­tes habe ich ein ockergelbes Knusperhäus­chen entdeckt, an dessen Gartenmauer ein Bronzeschild hängt mit der Aufschrift „Quäkerhaus. Versammlungshaus der Religiösen Ge­sellschaft der Freunde (Quäker). Erbaut im Jahre 1800. Wiederer­richtet im Jahre 1933“. Nach einem Museum sieht das Ganze nicht aus.

 

Da das Betreten des Grundstücks nicht verboten ist, habe ich es na­türlich betreten. Hinter der Gartenmauer sind ein paar Au­tos ge­parkt, im Haus zwei Fenster auf Kippe gestellt: Die Quäker müssen zuhause sein. Allein es kommt kein einziger Laut aus dem Haus und es ist auch niemand zu sehen. Vielleicht wird drinnen An­dacht gehalten. Ich gehe auf leisen Sohlen, fast schon auf Zehenspitzen. Es gibt zwei Klingelknöpfe neben der Eingangstür, einen für das Quäkerhaus und einen für einen Doppelnamen. Ob der zum Glaubensvorsteher gehört oder zum Hausmeister?

Auf einer Infotafel lese ich neben Terminangaben „12 Schritte 12 Traditionen“. Da einer der Termine gerade jetzt stattfindet, ver­mute ich, dass drinnen im Quäkerhaus geheimbündlerisch der Ritus der 12 Schritte und 12 Traditionen vollzogen wird. Da darf ich nicht stören und bewege mich leise zu der Rasenfläche, die sich un­ten rechts vor dem Haus erstreckt. An einer Mauer sind kleine bronzene Gedenktafeln angebracht. Ich befinde mich auf einem al­ten Friedhof. Die erste Beerdigung datiert aus dem Jahr 1795. Ein einjähriges Mädchen.

Ich laufe quer über den Rasen und entdecke eine Inschrift, die be­sagt: „Friedhof Eigenthum der Christlichen Gesellschaft der Freun­de in England 1893“. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt eine Rasenfläche mit hochaufgerichteten Gedenkstei­nen. Ich wechsele hinüber und lese nun: „Jüdischer Friedhof Bad Pyrmont nachweisbar seit 1788.“

Ein Drei-Konfessionen-Eck, denke ich: Quäkertum meets Juden­tum meets Protestantismus. War im ausgehenden 18. Jahrhundert alles besser? Mh. Früher war ja alles besser. Und Lessing – war der eigentlich mal in Bad Pyrmont?

 

Ich gehe zurück zum Quäkerhaus und betrachte die Aushänge in ei­nem Schaukasten: „Unser Gott ist wunderbar“. Des weiteren erfah­re ich, dass die Quäker-Gemeinschaft ein spiritu­eller Zusam­menschluss ohne Bekenntnis oder Dogma ist und die Anonymen Alkoholiker sich hier regelmäßig treffen.

Noch immer ist aus dem Haus kein Laut zu vernehmen, noch im­mer kein leibhaftiger Quäker in Sicht. Mh. Ich kann da nicht ein­fach reingehen. Also schleiche ich mich und werde ersatz­weise den Google befragen, was es mit dem Ganzen hier auf sich hat.

 

Ein lauer Sommerabend. Auf meinem kurzen Rückweg begegnen mir vorzugsweise Trainingshosenträger. Nicht nur dass sie alle Zi­garetten rauchen, auch sonst will ihr äußeres Erscheinungsbild nicht so recht zu Trainingshosenträgern im herkömmlichen Sinne passen. Mit dem routinierten Blick von einer, die über zwei Wo­chen Erfahrung als Kur­gast verfügt, ordne ich in Gedanken schnell zu, wer von den Rauchern in welche der hier dicht gedrängt stehen­den orthopädischen, rheumatischen und psychosomatischen Fach­kliniken gehört.

Dann bin ich auch schon in der Fachklinik angekommen, in die ich gehöre. Was ich dort mit meinem Thinkpad alles über die Quäker und das Pyrmonter Quä­ker-Haus in Erfahrung bringe, berichte ich hier alsbald.

 

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